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OpenScience

Im Rahmen meiner Aktion 10 Fragen – 10 Antworten möchte Jörg Eisfeld-Reschke von mir wissen:

… dann bin ich wissbegierig von Dir zu erfahren, wie Deine persönliche/webaffine und Deine berufliche Einschätzung zu OpenScience ist. 🙂

Kleine Anmerkung. Jörg ist Gründer von „Ikosom“ – Institut für Kommunikation in sozialen Medien. Im Blog von Ikosom findet sich ein Artikel mit dem Titel „ikosom goes OpenScience! Was ist OpenScience?„. Da liegt die Frage von Jörg natürlich nahe.

Nachfolgendes sehe ich selbst als erste Annäherung, als Ideen- und Gedankenschnipsel zu dieser Frage. Mehr kann ich nicht bieten, da ich zwar praktische Erfahrungen in „open…“ Projekten, jedoch nicht direkt in OpenScience habe.

OpenScience?

Wie Ikosom in ihrem Blogartikel schon anführen, kann man über Open Science nur in der englischsprachigen Wikipedia einen Artikel finden, jedoch nicht im deutschsprachigen Bereich. OpenScience ist dabei das öffentliche entwickeln, durchführen von wissenschaftlichen Projekten und das veröffentlichen der Ergebnisse (Stichwort „open access„).

Mein Umfeld

Der Hinweis von Jörg auf meine berufliche Einschätzung liegt darin, dass ich in einer Behörde arbeite, die immer wieder Studien und Meinungsbefragungen in Auftrag gibt – hauptsächlich im breiten Gebiet der Jugendforschung.

Wenn ich als von Forschung rede, dann nicht über Quantentechnik oder Molekularbiologie oder über die Arbeit mit Fruchtfliegen (Grüße an Christiane). Wobei man Fruchtfliegen für die Forschung eben nicht unterschätzen sollte.

Salopp gesagt geht es in meinem Arbeitsbereich – und auch in dem, womit ich als Blogger am Rande immer wieder zu tun habe – um das Forschungsgebiet Mensch und Gesellschaft, wie die gesellschaftlichen Gegebenheiten Einfluss auf uns nehmen bzw. wir auf sie und warum sich der/die Einzelne bzw. in der Gruppe so und nicht anders verhält.

Da geht es nicht um Milliarden Euro, die auf Basis von Forschung in neue Technologien landen. Höchstens wenn sich Marktforscher/innen darauf konzentrieren, wie denn ein Produkt in die richtige Zielgruppe gelangen bzw. wie man denn mit dem eigenen Produkt „credibility“ erreichen kann. Ansonsten zielt hier Forschung darauf, EntscheiderInnen eine Grundlage für gesellschafts(politische) Aktivitäten, Pläne und Maßnahmen zu geben.

So, das war quasi der Disclaimer zum nachfolgenden.

Das Potential

Ich sehe auf alle Fälle viel Potential in der OpenScience Idee. Ich spreche vorerst von Idee, da in der Praxis sich natürlich Fallstricke finden – aber sicherlich Möglichkeiten diese zu umgehen.

Somit böte OpenScience meiner Meinung nach folgende Möglichkeiten:

  • Keine Parallelforschung: Voneinander rechtzeitig (und nicht erst mit der fertigen Publikation) wissen verhindert paralleles beauftragen und arbeiten.
  • Vergleichbarkeit: Und wenn auch parallel gearbeitet wird, so ist die Chance größer, dass dieselben Fragestellungen verwendet werden, dasselbe Setting oder Samples angewendet werden etc. Das ermöglicht Vergleichbarkeit von Forschung.
  • Neue Forschungsinstrumente: Gerade im Bezug auf das Internet und das Verhalten der Menschen fehlen uns noch entsprechende Erhebungsinstrumente. Wie misst man die Influencer in Twitter – wohl nicht mit Twitterrankings (egal welcher Art). Im Sinne von Open Source, bei der eine Vielzahl von Menschen gemeinschaftlich an der Entwicklung eines Softwareproduktes arbeiten besteht die prinzipielle Möglichkeit gemeinsam an solchen Forschungs- und Erhebungsinstrumenten zu arbeiten.
  • Breitere Beforschung: Oft stehen am Schluss eines Forschungsprojekts weitere Fragen. Warum diese nicht ganz offen publizieren, schon im Vorfeld auch mitteilen, was alles nicht beforscht werden kann, … und damit die Chance eröffnen, dass andere dies aufgreifen.
  • Nochmals Synergien nutzen: Geld für Forschung ist immer rar. Da mag eine Aufgabenverteilung, ein gemeinsames Arbeiten mit dem Wissen und den Anregungen vieler einen gewissen Ausgleich darstellen.
  • Detailschritte sichtbar machen (Lernen aus Fehlern): In der fertigen Publikation lese ich von den Ausgangsfragen, Samples, .. und von Ergebnissen. Aber was geschah dazwischen? Warum ließ ich bestimmte Fragestellungen fallen. Was funktionierte nicht. War die Fokusgruppe ein Reinfall, der Online-Fragebogen missverständlich. Was hätten wir gerne noch beforscht, aber Zeit und Geld fehlten. Offenheit in solcher Konsequenz entspricht nicht unbedingt unserer Art von „Fehler“kultur. Fehler verschweigt man. Fehler macht man nicht, dabei wären sie die Quelle einer Chance, das nächste mal besser zu sein.

Die Probleme

  • Missinterpretation: Ich habe immer wieder erlebt, dass ForscherInnen Daten zurück halten wollten, da man sie auch auf problematische Weise interpretieren könne. Das ist immer das Risiko, dass jemand die Ergebnisse nimmt und daraus seine eigene Weltsicht „bastelt“. Könnte andererseits OpenScience nicht auch das Gegenmittel sein, in dem von Anfang solche Interpretationen mit Gegendarstellungen und Information abgefangen werden?
  • Finanzierung: Wer finanziert denn gerne Forschung, die dann einfach jedeR so nutzen kann. Wer finanziert OpenScience, bei der jeder Schritt unter Beobachtung steht.
  • Vernetzung kostet Ressourcen: OpenScience schafft Vernetzung mit anderen Communities, Einrichtungen, Einzelpersonen. Aber ein Netzwerk am Leben zu erhalten kostet personelle und zeitliche Ressource. Ich habe schon viele Projekte erlebt, die genau diesen „Netzwerkeffekt“ mit unrealistisch niedrigen Werten angesetzt haben und dann die beteiligten Netzwerker/innen ob der geringen Kommunikation enttäuschten.
  • Offenheit ohne Ende: Vielleicht ist das nur hypothetisch. Aber eine offene Entwicklung bedeutet immer wieder neue Fragestellungen, weitere Ideen, zusätzliche… und beinhaltet damit die Frage, wann man einen Schlussstrich zieht und mit Phase 2 beginnt.

Die Entwicklungsmöglichkeiten

Nachfolgendes sind nur mehr Ideenschnipsel – noch nicht fertig gedacht. Aber wozu blogge ich, wenn ich nicht auch das schreiben kann – vielleicht als Grundlage für eine weiterführende Diskussion.

Science of the Crowd

Die berühmte (und oft auch gescholtene) „Weisheit der Massen“ ist sprichwörtlich im Web 2.0 geworden. Aber kann OpenScience so etwas auch für die Wissenschaft kreieren. Warum nur die Rechner hunderttausender PC-NutzerInnen für die Auslagerung von Rechenmodellen nutzen. Warum nicht Forschungsaufgaben auf eine große Gruppe verteilen.
Warum nicht beispielsweise die Befragten befragen, was man denn überhaupt fragen sollte?

Kann man das? Könnte man nicht auch die Finanzierung auf eine breitere Masse verteilen. Es gibt durchaus Forschungsprojekte (im Umweltbereich zum Beispiel) bei denen viele ein Interesse hätten. Und OpenScience würde (hoffentlich) sicher stellen, dass dann nicht allein Auftragsforschung (im negativen Sinne) erfolgt.

Beobachtung verändert das Objekt

Diese Veränderung ist etwas, das man eigentlich in der Forschung nicht beabsichtigt oder tunlichst vermeiden möchte. Sozial angepasste Antworten bei Meinungsbefragungen – oder insbesondere bei der berühmten Sonntagsfrage – sind nicht das, was die Meinungsforschung braucht.
Aber gerade im soziologischen Bereich wollen wir mit den Ergebnissen etwas tun, sie eventuell in Präventionsprojekten, Grätzelprojekten, … einfließen lassen.
Was spräche dagegen, dass die Beforschten sich selbst mit dem Thema auseinandersetzen.
Einfaches Beispiel: Ein Beforschung von Nachbarbeziehungen, in dem man Nachbarn mit Fragebögen zu Nachbarn schickt und damit vielleicht das erste Gespräch zwischen den beiden ermöglicht. Ich denke, da gäbe es noch viel spannendere Möglichkeiten….

Fazit

Viele Möglichkeiten, viele Fragen. So stellt sich für mich OpenScience dar. Aber gerade Ideenansätze, die das „Open“ in sich tragen sind wohl so offen (oder müssten es sein), dass sie mit einer Idee beginnen, die sich immer wieder selbst hinterfrägt, evaluiert und weiter entwickelt. Wenn OpenScience in fünf Jahren mit den gleichen Definitionen, Fragen und Problemen daher kommen würde, dann müsste man sich doch fragen, ob nicht etwas schief gelaufen wäre.

…und danke für die Frage. So habe ich meine bisherigen Ideenfragmente noch um ein paar mehr ergänzt und zumindest zu einem kleinen Text erweitern können … und die Anregung erhalten, mich mehr mit dem Thema zu beschäftigen.

7 Kommentare

  1. yes, Open Science goes Austria.

    Fein, wenn das Leute interessiert.

    Möcht noch ein paar Gedanken zum feinen Bericht anhängen:

    Wicht ist noch, dass die Rohdaten veröffentlicht werden würden (Open Data), den die Öffnung der Methodologien sind eine Willenssache, genauso wie oftmals die Veröffentlichung unter Open Access und das Verwenden von Open Source. Zum Recherchieren oder Reproduzieren fehlen aber oftmals Rohdaten.

    Zuviel erwarten sollte Mensch sich aber auch nicht – was hier auch nicht gemacht wird. Vieles was so nahe liegt (Veröffentlichen der Fragebogen Ergebnisse, publizieren unter einer freien Lizenz in einem Blog) wäre relativ einfach und schnell gemacht, bzw. wird dort und da auch schon angeboten. Hier fehlt es aber oftmals an Bewusstsein und der Blick über den Tellerrand des eigenen wissenschaftlichen Alltags.
    Und es bietet einem selber zur Hebung der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit einige Möglichkeiten, wie zum Beispiel ein regelmäßiges Schreiben des Forschungstagebuch. Wo die Phasen beendet werden, ist dann sicher etwas schwieriger, aber lieber ein paar Gedanken mehr machen und was gescheites raus bekommen.

    Und klar, es wird sich noch einiges weiter entwickeln müssen, besonders im Umgang mit Informationen und der Kommunikation via Web. Aber am Ende bleibt der Vorteil der direkten Kommunikation die es Menschen mit gleichen Interessen binnen Sekunden ermöglicht sich auszutauschen. Dafür nehme ich ab und zu auch mal einen Troll in Kauf 😉

    Was ich nicht ganz verstehe, ist die Kostenfrage: Open Science ist ja genauso wie normale Wissenschaft meist bereits von öffentlicher Hand bezahlt. Das einzige ist, dass manchmal Pauschalen zur Veröffentlichung unter Open Access verlangt werden, da bilden sich aber auch immer mehr selbstverwaltete Vertriebe raus.

    Die größten Probleme sind gerade für mich:
    # einen Ersatz für den Impactfactor zu finden, der auch im Web funktioniert
    # eigene Distributionswege für Open Access Journals aufbauen und die Qualität der bestehenden heben
    # eine Ontologie für die semantische Auszeichnung der Publikationen.
    teilweise arbeite ich da schon ein bisschen dran, sind aber alles keine kleinen Themen.

    Weiter wichtige Punkte, die zwar nicht direkt mit Open Science in technischer Hinsicht zu tun haben sondern eher kultureller Natur sind, aber für mich auch dazu gehören:
    # niederschwellige Kommunikation der Ergebnisse und Dokumentation und Abbau des Elfenbeinturms
    # interaktive, explorative Aufbereitung der Forschung (Visualisierungen)
    # kritischere Selbstreflexion und detailiertere Angaben zum Forschungsumfeld
    # ganzheitliches, systemisches Denken

    Und zuletzt:
    Falls wer Interesse hat Open Science zu betreiben kann dies bei uns am Open Science Projekt machen:
    openscience dot alpine-geckos dot at

    Greetz, Stefan

    • Danke für deinen ausführlichen Kommentar, der meinen Artikel gleich um einiges erweitert.

      Zur Kostenfrage: Ich frage mich eben nur, ob jeder Auftraggeber das so gerne hat, dass Zwischenergebnisse vorab publiziert werden. Wo bleibt da die Möglichkeit das Ergebnis als erster zu präsentieren. Das mag nicht überall der Fall sein, aber wird wohl auch zu bedenken sein.

      Niederschwellige Kommunikation halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Menschen sollten verstehen, was Forschung macht und warum sie wichtig ist. Damit sie nicht nur belächelt oder als sinnlose Ausgabe angesehen wird.

      Dies mal als erstes, kurzes Feedback. Vielleicht schreibe ich noch ein wenig mehr.

  2. Der Veröffentlichungs-Punkt ist ein guter.

    Glaube das sollte man sich von Fall zu Fall genau ansehen und überlegen. Meiner Meinung nach sollte das Veröffentlichen by default offen sein, also Open Access und eine Argumentationspflicht bei nicht offenem Publizieren notwendig sein – sprich das Spiel umkehren.

    Und auch Finanzierungen aus dem privaten Sektor sollten hier an der Hand genommen. Open Science bietet ja einige Vorteile für die Qualität des Ergebnisses, welche dem Auftraggeber zugunsten kommen.

  3. Lieber Robert,

    vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Die von Dir identifizierten Potentiale und Probleme haben mich widerum zum Nachdenken gebracht.

    Die Gefahr der Missinterpretation sehe und fürchte ich auch. Wir haben auch schon bei Studien Daten erhoben und nicht alle Auswertungen veröffentlicht. Wir haben dies begründet damit, dass es für eine Einschätzung noch zu früh sein und meinten damit, dass eine Aussage auf Basis der wenigen bis dahin vorhandenen Daten einen wesentlichen Einfluss auf das Untersuchungsobjekt haben könnten, für den wir nicht die Verantwortung übernehmen wollen.

    Und einige Deiner Gedanken greifen wir in den kommenden Monaten ganz konrekt auf: Über Möglichkeiten der Finanzierung von OpenScience entwickeln Karsten, Uli und ich einen Buchbeitrag. Natürlich kommen unsere Gedanken und Leitfragen dann zu gegebener Zeit öffentlich im Blog – vor der Abgabe und Veröffentlichung.

    Das Problem „Offenheit ohne Ende“ schätze ich nicht so relevant ein. Eher habe ich den Eindruck, dass eine unendliche Begründungs- und Erklärungsschleife in Gang gesetzt werden könnte, wenn immer mehr Menschen sich nach und nach mit den Ergebnissen und dem Forschungsobjekt beschäftigen. Sie werden aber in den seltensten Fällen alle vorhergegangenen Informationen recherchieren und verstehen, sondern sich aufgrund von zufälligen Teilinformationen einbringen. Wie viele Ressourcen mag es brauchen um OpenScience im Prozess zu erklären?!

    Und übrigens, bezüglich der Fruchtfliegen, OpenScience kann auch über Geisteswissenschaften hinaus Anwendung finden. Auch in wirtschaftlich umkämpften Forschungsgebieten. Wie lange hätte es ohne den OpenAccess-Gedanken gebraucht um den menschlichen Gencode komplett zu entschlüsseln?

    In Deutschland kommt übrigens gerade ein klein wenig politischer Schwung in die Debatte. Ein Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Urheberrecht wird überlegt OpenAccess in der Förderrichtlinien für Forschung zu verankern. das wäre doch schon mal die richtige Richtung.

    • Freut mich, wenn meine Zeilen für weitere Gedanken sorgen. Das ist quasi OpenThinking zu OpenScience 🙂

      Das Nicht-Veröffentlichen von Daten in einem OpenScience Projekt wird aber wohl etwas schwierig. Wie begründe ich es, wer wägt ab? Wäre es hierzu nicht hilfreich schon vorab zu beschreiben unter welchen Voraussetzungen bestimmte Daten „unter Verschluss“ bleiben. Das würde ev. auch Verunstimmung mitten im Projekt vermeiden.
      Interessant wäre solche Einschränkungen bzw. deren Kriterien zwischen Projekten auszutauschen vielleicht dafür sogar Standards oder Regeln zu entwerfen – falls es das nicht schon gibt.

      Auf den Buchbeitrag bin ich natürlich schon sehr gespannt.

      Ich wollte auch gar nicht bestreiten, dass OpenScience nicht auch in anderen Forschungsbereichen funktioniert. Ich habe eben meine Forschungs“erfahrungen“ in einem bestimmten Bereich und wollte meine Überlegungen davon ausgehen lassen. Über Fruchtfliegen und OpenScience muss dann jemand anderer schreiben 🙂

      Die unendliche Begründungs- und Erklärungsschleife wäre andererseits schon ein Erfolg eines solchen Projekts. Denn es würde ja bedeuten, dass sich viele interessieren und sogar mitreden bzw. zumindest fragen wollen. Soviel Interesse im Entstehungsprozess würde sich wohl so manches Forschungsprojekt wünschen. Andererseits sehe ich natürlich auch das Problem, dass man dafür irgendwann eineN eigeneN ÖffentlichkeitsarbeiterIn brauchen würde.

      Danke auch für deinen Kommentar. Mit all den bisherigen ist das schon ein recht umfangreicher Artikel geworden.

  4. Als ich 2012 die Aktion 10 Fragen – 10 Antworten startete kamen viele interessante Fragen, die ich unter anderem in Artikeln wie OpenScience oder Blogs als Meinungsmacher? beantwortete. Im Jahr 2014 möchte ich wieder mit dieser Aktion starten. Ich

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